Aristophanes, ein griechischer Komödiendichter, berichtet im platonischen Dialog Symposion über die Enstehung der Liebe.
Einst waren die Menschen nicht wie sie heute sind. Sie verfügten über vier Arme, vier Beine und einen Kopf mit zwei Gesichtern; in dieser Erscheinungsform waren sie kugelrund. Diese ursprünglichen Menschen wollten sich in ihrem Übermut den Weg zum Himmel bahnen. Für diesen Frevel zerschnitt Zeus die Menschen in zwei Hälften und befahl Apollon deren Haut über die Schnittstellen zu ziehen und zusammenzubinden.
Getrennt voneinander, begehrten die Menschen nicht länger den Himmel, sondern sehnten sich nach dem Anderen und suchten ihn. Wenn sie glaubten ihn gefunden zu haben, schlangen sie die Arme um ihn, in der Sehnsucht wieder ganz eins mit ihm zu werden.
So angenehm symbiotisch es auch klingen mag und es der geläufigen Meinung entgegenkommt, dass man in der Liebe seine andere Hälfte sucht, so bleibt die Liebe hier dennoch eine göttliche Strafe. Sie kann niemals zu ihrer Erfüllung gelangen, niemals kann das Streben (die Liebe) nach der verlorenen Einheit gänzlich erfüllt werden. Es bleibt nichts, als die verzweifelte Umarmung, von der wir noch nicht einmal wissen, ob wir sie wirklich unserer verlorenen Hälfte widmen. Über all‘ dem bleibt keine Zeit und keine Kraft mehr nach dem Himmel zu streben – das ist der Sinn und Zweck der Strafe.
in: Platon. Symposion. 189a-193d
Ich denke, das Bild, das Platon hier von Menschen entwirft, enthält einen sehr wertvollen Kern, wenngleich ich glaube, dass es in seiner Fatalität nur dann die Wirkung erhält, wenn man es nicht von der metaphorischen Ebene nimmt. Man denke an den hohen Stellenwert, den Platon der Freundschaft einräumte.
Ich musste unwillkürlich an ein Zitat von Arthur Schnitzler denken, der sagt oder vielmehr schrieb: "Die Frauen hassen unsere Kunst, denn sie fühlen wohl, dass sie uns von ihrer Macht befreit. Ab und zu aber gibt es eine Edle, die uns und unsere Kunst eben um dieser Befreiung willen liebt." (Schnitzler, Arthur: Beziehungen und Einsamkeit. Aphorismen ausgewählt von Clemens Eich. Fischer TB Verlag, 1987: S.29)
Ich würde diesen Wesensunterschied zwischen Frauen und Männern gern für den Moment vernachlässigen, den Schnitzler hier zurunde legt, denn ich finde es im Grunde recht treffend und durchaus hoffnungsvoll: Die Kunst befreit, sie öffnet, um in Platons Bild zu bleiben, den Blick wieder für den Himmel, und gleichsam ist es nicht unmöglich, diesen Weg mit seinem "verlorenen Hälftel" (so sie es denn ist) zu gehen. Vielleicht ist es eine Frage des Kriteriums, mithilfe dessen man sich zu vervollständigen sucht; Ist es der Himmel des "nichts mehr wollens", den wir uns von der Ganzheit durch/mit einem anderen Menschen versprechen, oder finden wir nicht evtl. doch die eine (oder den einen) auf dem Weg zu einem Ziel, das über uns beiden steht, und schlagen somit den Göttern ein Schnippchen?
Vorsicht mir der Kunst bei Platon, sie stand ja bekannterweise bei ihm nicht sehr hoch im Kurs (sofern es die Dichtung betrifft u.ä., aber nicht die Kunst des Verstandes)… auch ist es die Rede des Aristophanes und Sokrates respektive Platon teilen seine Meinung zur Liebe nicht.
Aber lassen wir das und kommen zur Kunst. Wenngleich die Philosophie der Kunst doch immer wieder mein Interesse weckt, so frage ich mich doch, was mit den Menschen passiert, die keinen Zugang zur Kunst bekommen bzw. keinen Zugang zu jener wünschen.
Doch bei Aristophanes, so denke ich, ist die Kunst keine Option mehr. Den Himmel zu erreichen hätte alle unsere Kraft beansprucht, doch nun im Affekt der Liebe müssen wir unsere Kräfte auf unsere verschiedenen Bestrebungen aufteilen. Mit oder ohne Kunst, überkommen wir nicht die Liebe, so würde Aristophanes sagen, können wir uns auch nicht den Weg zu den Göttern bahnen.
Du hast sicher Recht: Wenn wir uns an Platon halten, werde ich mit meinem Kunst-Einwand nicht weit kommen. Mit dem Schnitzlerwort wollte ich auch eigentlich ein wenig das Schlachtfeld wechseln; D.h. eigentlich nicht, denn ich kann mich nicht ganz von der Vorstellung befreien, dass Gott/die Götter der Griff an der Klinge der Liebe ist/sind, die uns ins Herz getrieben ist und wir durch die Kunst lernen können, damit zu leben – denn rausziehen hieße verbluten… Platon würde mich für so etwas sicher die Treppen der Akademie hinunterwerfen, aber ich gebe ja gar nicht vor, in seinem Sinne zu sprechen.
Was den Einwand betrifft, dass Kunst in gewisser Hinsicht durchaus exklusiv ist, also nicht jeder Zugang zu ihr hat oder sucht, so würde ich sagen, dass das so nicht ganz richtig ist; Es gibt tausende von Kunst-Definitionen und rein argumentativ ist keine gegen die anderen durchzusetzen, doch würde ich sagen, dass es im Leben eines jeden Kunst gibt, auch, wenn jemand weder die Literatur noch die Malerei noch die Musik (usw.) liebt. Wird uns nicht in gewisser Hinsicht was immer wir lieben zur Kunst?
Was sich mir verschließt ist jemand anderem ein System von Größe und Schönheit; Ich habe Menschen getroffen, die die Mathematik und die Lateinische Grammatik bewundern – wer sagt, dass diese Liebe etwas wesensmäßig anderes ist, als z.B. mein epiphanische Begeisterung für Literatur? Und könnte man hier, gegen seinen Widerstand, nicht auch Platons Liebe zur Weisheit und deren Erlangung verorten?
Dieser Kunstbegriff ist sicher sehr weit, aber ich begründe ihn auf der Ähnlichkeit der Wirkung bzw. der menschlichen Fähigkeit zu dieser Art der Wahrnehmung und Empfindung, die m.E. die Ursache aller genannten Erscheinungen ist.
Auch ich plädiere keineswegs für eine einzige Kunstdefinition, nur fällt nun bei deiner Sichtweise die Strafe mit dem Ausgang aus der Strafe heraus zusammen. Eigentlich interessant, sozusagen wäre es dann ein Resozialisationsprogramm des Zeus für die Menschen gewesen.
Darüber hinaus fragt sich, ob selbst bei einem aufgelösten Kunstbegriff jeder daran teilhat, denn auch hier kann er sich der Kunst an-sich gegenüber selbst verschlossen halten, so er denn will oder sofern er mit der Handhabung des Phänomens nicht vertraut ist (und auch keinen Grund sieht damit vertraut zu sein).
Weitaus exklusiver als die Kunst ist dafür unser Diskurs hier geraten, irgendwann solltest Du wohl mal ein paar Takte zum Phänomen der Kunst schreiben, damit man unseren verbalen Ausschweifungen leichter folgen kann.