Man sehe mir den naheliegenden Einstieg nach, denn es soll nicht vom Niedergang Gollums die Rede sein, sondern vom Aufstieg des Gyges vom Ziegenhirten zum Alleinherrscher Lydiens:
Durch eine seismische Anomalie und seine Neugier gelangte er in den Besitz eines goldenes Ringes, der ihm die Macht verlieh, unsichtbar zu werden, wann immer er ihn drehte. Durch diese seltene Gabe wurde er schnell Abgesandter des Königs, hierdurch wiederum noch nicht zufrieden: Er verführte zunächst die Königin und ermordete zuletzt den Regenten selbst, um nach dem Weib auch den Thron für sich zu haben.
Sokrates erzählt diese Geschichte um zu illustrieren, dass die Furcht vor Strafe die eigentlich moralische Haltung sei: Die Ungerechtigkeit, so Sokrates, halte Jedermann für vorteilhafter als die Gerechtigkeit. Wenn er (oder sie) also sicher sein könnte, nicht für begangenes Unrecht zur Rechenschaft gezogen zu werden, würden der augenscheinlich Gerechte und der Ungerechte gleichermaßen ohne Rücksicht nur nach dem eigenen Vorteil streben.
Wenn ein Mensch, dem solche Macht gegeben ist, nie Unrecht täte, so würden die Menschen öffentlich seine Rechtschaffenheit loben, doch insgeheim den Kopf über ihn schütteln.
Wer kennt sich gut genug, um zu wissen, wie er handeln würde, wenn er nicht einmal fürchten müsste, für seine Untaten verachtet zu werden; Wenn kein Gesetz und keine soziale Kontrolle ihn mehr fesseln?
Wer ließe sich nicht von der absoluten Freiheit verführen?
Platon: Politeia, 359c – 360c