Der berühmte Satz aus Sartes Einakter Huis clos (dt. bei geschlossenen Türen, dt. Titel: Geschlossene Gesellschaft) bietet ein breites Spektrum möglicher Bedeutungen, und keineswegs gibt es eine gänzlich einhellige Meinung darüber, welche die richtige ist.
Wie können die anderen die Hölle sein?
Zunächst gehört es zu den existenziellen Erfahrungen des Menschen, dass die Anderen die Grenzen seiner Freiheit sind, sie sind limitierende Faktoren der eigenen Entfaltung und Selbstverwirklichung. Der Mensch ist in gleichem Maße eingeschränkt von seinem sozialen Kontext, wie er darauf angewiesen ist. Diese Abhängigkeit wiederum wirft ihn unweigerlich auf die anderen zurück, wenn er sich auf sich selbst zu besinnen versucht er ist zu einem großen Teil seine Verwurzelung in der Welt und damit seine Beziehungen zu anderen.
Diese wiederum sind nicht von ihm allein bestimmt, sondern entwickeln sich spätestens wenn – wie in Sartres Stück – ein Dritter zugegen ist, nach den Gesetzen ihrer ureigenen Dynamik. Natürlich ist dabei keine schwarze Magie am Werk, sondern schlicht die Komplexität sozialer Interaktion, kein böser Geist schafft die Hölle, sondern die Menschen bereiten sie sich selbst aus den Anderen.
Die Hölle wäre also in diesem Sinne die Ohnmacht gegenüber des eigenen Kontextes, den man im Grunde selbst (mit)bestimmt. Dieses Auseinanderklaffen von Analyse und Erleben scheint auch gegen Reflexion weitgehend immun zu sein, löst doch die Einsicht in die Mechanismen, die am Werk sind, noch lange nicht das Verhängnis auf. Der eigenen Psyche mag man derart auf die Schliche kommen können, doch fehlt für die Erlösung des Individuums im Zwischenmenschlichen noch der Kommunikative Akt. Dieser jedoch müsste erneut auf einem Terrain vonstatten gehen, das dem Einzelnen nicht eigen ist, also wieder fremd und fremdbestimmt.
Eine Auflösung bietet Sartre selbst im Übrigen nicht an. Die Handelnden Estelle, Inés und Garcin lachen zuletzt über die Fatalität ihres gemeinsamen, immerwährenden Eingesperrtseins. Als ihr Lachen verebbt steht Garcin auf und sagt: Eh bien, continuons. (dt. Also, machen wir weiter.)
Und das nenne ich Resignation.
Wie wäre es umgekehrt? Sperren einen Grenzen in diesem Sinn tatsächlich ein oder nicht viel eher – aus? Fühlt man Ohnmacht, weil man auf das Blickfeld der Anderen "beschränkt" wird, oder weil man meint, selbst nur unzureichende Blicke auf die "Anderen" werfen zu können? Und wie verfälscht sind dann wohl die wieder zurückgeworfenen Bilder? Wann ist in diesem Sinne etwas "verfälscht"- wäre es wünschenswert, von allem losgelöst zu entscheiden, wer man "ist"- wäre man denn dann noch "jemand"?
Hat dieser Kontext, ausser seinen Begrenzungen, nicht auch einen ziemlich großen kreativen Teil, in dem man auf viele Weisen "man selbst" sein kann? Ist das nicht irgendwie ein Stück "Freiheit", diese Unschärfe, diese Unzulänglichkeit? Könnte man das, was gefühlsmässig bei jedem Gesehen- und Gesehen- Werden "gekürzt" wird, denn überhaupt teilen wollen; sind denn Individuen nicht eben grade unteilbar? Und ist das nicht manchmal auf eine Art das ganze Gegenteil der Hölle? Ich glaube schon…
Vielleicht müßte es heissen "Also, fangen wir an!"… mir gefällt beides, und der Artikel sowieso!
@Lotte:
Das gefällt mir sehr gut, was du dazu schreibst. Das würde bedeuten, dass einem gerade die anderen (auch) dazu verhelfen, sich immer wieder selbst neu zu erfinden.
Was für Sartres Stück – unabhängig von dieser Sichtweise – gerade bezeichnend ist, ist doch gerade die Anwesenheit des Dritten, der eigentlich erst die Beziehung zwischen Zweien definiert – durch seinen Blick, seine Interpretation, seine Bezeichnung. Das wirft die Frage auf, ob Beziehungen überhaupt ohne einen solchen (unbestimmten) Dritten bestehen können bzw. durch mehrere "Dritte". Die Hölle besteht hier doch vermutlich gerade darin, dass es nur e i n e n "Dritten" gibt (und nicht etwa darin, dass es überhaupt einen gibt) und damit immer nur eine Perspektive auf die jeweilige Zweierbeziehung der beiden anderen.
Hi Ann, ich hab das Stück nicht gelesen; aber so wie ich mir das jetzt -nach Deinem Eintrag- vorstelle, muss ich sagen – die Position nicht wechseln zu können, ist bestimmt höllenartig. Wobei es mir gerade auch nicht so wunderschön erscheint, das permanent tun zu "müssen", in allen seinen Urteilen, über andere, über sich, über Beziehungen! Deswegen habe ich mir die vielen "Dritten" innen und aussen eher als Zwang (und wie ich oben schrieb, sogar eher Möglichkeit) zur Beweglichkeit vorgestellt; tja, ich weiss nicht, wie das zu dem Text passt. Ich les‘ ihn einfach mal. Grüße!
@Liebe Lotte und Ann
Ich bin kein Philosoph und drehe mich im Kreis, aber dem Satz "Also fangen wir an", kann ich nur zustimmen. Die Zeit ist überreif!!
Ich weiss, dass ihr im Herzen das gleiche meint, aber zu Eurer Entlastung:" Ihr seid Philospohen!" Mein Rat: Nicht denken, sondern handeln. Liebe Grüsse
Der Sartre ist keiner der an die Hölle schreibt dabei handelt es sich in diesem Buch eher über eine Hölle auf der Erde und damit versucht er zu zeigen dass jeder der Herr seiner Selbst ist, obwohl dadurch nicht klar wird in welcher Weise wenn man sich doch nur aus den Augen der Anderen kennt. Man kann doch nicht Herr über etwas werden was man nicht mal richtig kennt.
Was können wir den auf dieser Welt so detailliert beschreiben, dass wir uns als Herr dessen auch anerkennen?? Wir kennen uns nicht einmal richtig von innen und außen auswendig. Wer weiß schon wofür die Wurmfortsatz nützt? Um die unbewiesene Darwintheorie zu bekräftigen? Na meine Ahnen waren bestimmt keine kriechende Tiere. Wer zeigt mir denn irgendwelche Übergangsformen die nicht nur aus übereinandergestapelten Knochen bestehen?
Wenn ich zum Beispiel alles aus dem Bereich Mathematik mir als Wissen angeeignet habe, kann ich allerdings nicht davon ausgehen, dass ich Herr davon bin. Zumal, dass sich damit nicht die Größe des Weltalls und die anderen Dinge die ich vielleicht damit anstellen will nicht damit anstellen lässt, obwohl zB. die Größe sich am ehesten damit herauskriegen ließe.
Na dann lasst uns mal Herr unseres werden mal sehen was sich daraus ergibbbt…
Sry hab gemerkt, dass ich wgen des schnellen Schreibens Fehler eingebaut habe. Man sieht sich Ciao Ciao
Das Erschreckende an Huis Clos finde ich, dass man sich selbst in jeder der 3 dargestellten Positionen wiederfindet.
Erstens ist man "man selbst", abhängig von einer zweiten Person, von deren Meinung man unweigerlich beeinflusst wird. Einige Menschen behaupten, dass ihnen die Meinung anderer egal sei, doch das kann nie stimmen. Hebt sich jemand zum Beispiel durch auffällige Kleidung von der Masse ab, ist dies immer ein Akt der Individualisierung, er/sie provoziert die Meinungsbildung anderer sogar.
Zweitens ist man in gleichem Maße die beeinflussende Person, man wird selbst zum Kritiker oder Beeinflusser, auch wenn man das gar nicht möchte.
Schließlich ist man auch immer ein "Dritter", man findet sich als Beobachter und Beinflusser wechselseitiger Beziehungen anderer wieder.
Auch wenn man die Nachteile dieses Teufelskreises erkannt hat, gibt es keine Möglichkeit daraus auszubrechen, will man nicht als Einsiedler leben. Wie Sartre so schön schreibt: wie Karussellpferde, die im Kreis hintereinander herrennen, sich aber nie einholen können.
Das ist für mich das Schlimme, dass man keine andere Wahl hat, als diese Sinnlosigkeit zu akzeptieren: "Also, machen wir weiter."
Der Andere – ist das nicht vielleicht derjenige, der über das Ich und Du hinausgeht? Der Dritte scheint jedenfalls für mich die wesentliche Erscheinungsform des Anderen zu sein. In der Zweierbeziehung, dem Ich und Du, finden wir sozusagen das Paradies vor, der Dritte ist die Möglichkeit der Hölle. Der Dritte definiert die Zweierbeziehung als solche – er definiert dadurch aber auch den Anderen; er ist der ausgeschlossenen aus der Zweierbeziehung.
Und das Problematischste an dieser Konstellation wäre, dass durch den Dritten jeder Baustein der Dreierbeziehung der Andere sein kann.
Durch den Dritten taucht erst – das ist die These – die Möglichkeit des Anderen auf; und durch die Möglichkeit des Anderen ist die urvertraute Zweisamkeit dahin – der Andere verhindert das Paradies, er ist die Hölle.
sartres "huis clos" sagt nicht aus, dass ein mensch unfähig ist sich weiterzuentwickeln oder dass einem menschen durch andere grenzen aufgezwungen werden. es ging ihm darum zu zeigen, dass der mensch der sich immer durch die augen anderer sieht nicht weiterentwickeln kann und solange in seinem zustand eingefroren wird bis der andere seinen blick ändert.
für estelle ist es die hölle, weil sie sexuelle befriedigung braucht, die sie nur von garcin bekommen kann, da sie ines ablehnt. jedoch verlässt sie sich auf das urteil von ines was ihr aussehen betrifft.
für ines ist es die hölle weil sie estelle begehrt und immer wieder miterlebt wie diese sich vor ihr zu garcin flüchtet.
für garcin ist es die hölle, weil er anerkennung von ines möchte, jedoch von ihr abgelehnt wird und die wahrheit immer wieder gesagt bekommt. außerdem verletzt ihn estelles desinteresse an seiner person. er braucht die bestätigung, dass er richtig gehandelt hat.
sie alle sind unfähig zu ihren fehlern zu stehen und weiterzugehen. ines möchte ihre wohnung geistig nicht verlassen und wird von den neuen mietern gequält, garcin hört seine ehemaligen kollegen über sich reden. sie sind gefangen von der vergangenheit und vom urteil der anderen. sie befreien sich jedoch nicht davon.