Eines der zentralen Themen der ethischen Debatten der letzten Jahre war das Problem der Sterbehilfe. Die Debatte fand und findet nicht nur in der Philosophie statt, sondern findet ebenfalls Beachtung im politischen und gesellschaftlichem Raum.
Das ethische Problem der Sterbehilfe ist dabei keines, was man zuvorderst einer bestimmten Ethik anrechnen sollte, sondern es entsteht gerade dort, wo unterschiedliche ethische Strömungen aufeinander treffen. Das ethische Problem ist demnach kein Problem einer einzelnen Ethik, sondern der Vielzahl der Ethiken geschuldet.
In der Debatte treffen die Ethiken, die das menschliche Leben über alles achten (beispielsweise die meisten christlichen Ethiken), zusammen mit jenen, die eine liberalere Auffassung vertreten und ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben (mit unterschiedlichsten Begründungen) einfordern, bishin zu jenen die Relativität oder Subjektivität aller Werte proklamieren (und selbstredend auch daraus unterschiedlichste Konsequenzen ziehen und einfordern), zusammen; hinzu gesellen sich ebenfalls eine Vielzahl von unterschiedlichen und persönlichen Meinungen der Bürger, die ebenfalls prägend auf die Debatte wirken.
Die divergierenden Ansichten beruhen wohl zumeist auf einem unterschiedlichen Menschenbild, aus dem jeweils eine andere moralische Forderung erwächst. Alle diese ethischen Ansichten sind in einem unheilsamen Knäuel verwoben, von dem man bezweifeln darf, ob es jemals zur Zufriedenheit aller entworren werden können wird.
Das Ringen um eine Antwort findet also vornehmlich nicht innerhalb einer Ethik statt, sondern es wird in der politischen und gesellschaftlichen Debatte die Frage nach der Vorrangstellung einer bestimmten Ethik und deren Menschenbild gestellt und damit ist nichts weniger als die Frage danach verbunden, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.
12 Antworten auf „Das ethische Dilemma der Sterbehilfe“
Kommentare sind geschlossen.
Was bitte habe ich mir unter einer Ethik vorzustellen, die das Leben über alles achtet? Die Formulierung "über alles" lässt mich fragen, was dies sein kann? Und bitte, was können mir diese abstrakten Formulierungen, Gedanken helfen, wenn ich z.B. in einem Hospiz arbeiten, Menschen beim Sterben begleiten möchte?
Dies wäre eine Ethik, die entweder von dem Axiom ausgeht, dass Leben seie der absolute Wert, von dem alle anderen Werte abhängen, oder von einem Axiom, aus dem das Leben als absoluter Wert folgt.
Diese Gedanken haben auch keineswegs die Absicht eine Handlungshilfe für die Praxis darzustellen (zumal sich der Artikel mit einer anderen Art von Sterbehilfe befasst, als mit der, die in einem Hospitz gepflegt wird). Der Artikel soll vielmehr ein diskursives Problem innerhalb einer Debatte beleuchten. Als solches kann er das Verständnis für ein Problem fördern, bei dem die meisten nur aus ihrer persönlichen (und oftmals auch nur gefühlten) Einstellung argumentieren, ohne sich gewahr zu werden, dass dies gerade der konstitutive Moment des Problems ist.
Kein schlechter Gedanke insgesamt. Ansonsten schwächt der Artikel vielleicht ein bisschen an unklaren Begriffen. Das Problem beginnt damit, dass nicht klar ist, was mit Sterbehilfe gemeint ist und endet bei dem Begriff Axiom, der in sich der Moralphilosophie vermutlich etwas schwer tun wird. Immerhin sollte es ein bisschen um Argumente gehen, mit einem Statement "Das ist die Aussage, die über Leben und Tot entscheidet, aber nicht beweisbar ist", wirbt man sich als Philosoph wohl keine Fans.
Der Diagnose, dass unterschiedliche Urteile sich fundamental bloß in unterschiedlichen "Menschenbildern" gründeten, teile ich nicht. Ethik ist nicht eingezäunt von der Anthropologie.
Hallo Johannes,
sicherlich hätte man den Begriff der Sterbehilfe expliziter fassen können, dennoch dachte ich (und denke es eigentlich immer noch), dass es implizit recht deutlich wird, dass mit Sterbehilfe keine Sterbebegleitung gemeint wird (denn wo gäbe es hier großen Dissens und ethische Dilemmata?).
Axiome und Moralphilosophie, nun, freilich kann man da geteilter Meinung sein, aber offen gestanden ist mir nur eine einzige Ethik untergekommen, die keinerlei Dogmatismus benötigte – sei es nun ein positiver (Bezug auf objektive Werte), oder ein negativer (Bezug auf subjektive Werte und Ausschluss der Existenz [oder zumindest Erkennbarkeit] von objektiven Werten). Die einzige mir bekannte, die weder dem einen, noch dem anderen Weg folgt, sondern sich konsequent (und nicht nur postuliert) in der Mitte hält, wäre die pyrrhonische – gleichsam, diese wird bei diesem Problem keine große Hilfe sein. Aber es ging mir auch nicht darum Fans zu gewinnen oder mir den Titel eines Philosophen zuzusprechen und schon gar nicht einer ethischen Betrachtung hier den Vorrang einzuräumen und damit ein Baustein in dem Dilemma hinzuzufügen. Man mag sich Freunde damit machen oder nicht, wenn man diese Antwort jedem Individuum selbst überlässt, doch gerade hier finde ich es unerlässlich (auch wenn hier bereits wieder ethische Ansätze mitschwingen).
Eines ist mir aber besonders wichtig, ich habe nicht behauptet, dass die Ethik von der Anthropologie eingezäunt wäre, sondern benutzte den Terminus "zumeist", denn das Ethik gemeinhin mit Teilen aus der Anthropologie eng verwoben ist (Mensch als Vernunftwesen, Mensch als politisches Wesen etc.), darüber dürfte ja Einigkeit bestehen. Ob eine Ethik, die gänzlich auf den Bezug zum Menschen verzichtet, dem Menschen noch dienlich sein kann (oder überhaupt gedacht werden kann), erscheint mir auch recht fraglich. Also, Fazit: Ich wollte keinen Vorzug der Anthropologie postulieren, dennoch auf ihre wichtige Stellung in dieser mindestens ebenso wichtigen Frage hinweisen.
So genug Text, einen schönen Abend noch! 🙂
Sterbehilfe ist ein Überbegriff, der meiner Meinung nach völlig ausreichend und korrekt benutzt wird. Darunter fallen aktive und passive, Hilfe zum und Hilfe beim Sterben, Früheuthanasie ebenso wie die Sterbehilfe am Ende eines langen Lebens.
Zum einen gründen die unterschiedlichen Argumentationen zum Thema auf verschiedenen Menschenbildern, zum anderen kommt es darauf an, ob deontologisch, diskursethisch oder utilitaristisch argumentiert wird. Letzteres macht einen großen Unterschied, nicht zuletzt in der Frage nach dem Lebenswert von menschlichem Leben. Ich gebe zu, dass es in realen Dilemmasituationen nur Ja oder Nein gibt, und dass die Tatsache, dass es aufgrund der Vielfalt der menschlichen Ansichten keine glatte Lösung geben wird, hier als unbefriedigend empfunden werden mag. Die auf den Einzelfall bezogene moralische Haltung ist nicht selten eine Mischung voller Spannungen zwischen deontologischen (verantwortungsethischen) und teleologischen, also konsequentialistischen, ethischen Normen.
Ich denke, dass jede Ethik diesbezüglich eine deontologische Basis haben sollte, die das Lebensrecht als Basisnorm und unhintergehbare Letztbegründung über alles stellt (Kantsche Pflichtethik). Daraus resultiert zunächst ein absolutes Tötungsverbot. Dieses Absolute (von lateinisch absolutus "losgelöst") nimmt nicht die konkreten Bedingungen in den Blick, auch nicht die tatsächlichen aktuellen Geschehnisse. Der Einzelfall ist dabei nicht bedacht. Der Einzelfall, der eventuell eine andere Entscheidung rechtfertigt, weil nicht nur die Humanität, sondern auch die Basisnorm der Menschenwürde, uns diktieren, einen Menschen nicht unwürdig furchtbar leiden zu lassen. Damit lastet auf dem Einzelnen im konkreten Entscheidungsfall eine große Bürde der moralischen Verantwortung, der Unsicherheit und der Zweifel. Mit dieser Kontingenz müssen wir leben, und das ist, meiner Meinung nach, auch gut so. Denn Einzelfallrechtfertigung ist jeweils unikal und darf, nach meiner (wohl argumentativ recht deontologischen) Auffassung auf keinen Fall und niemals verallgemeinert werden. Sonst sehen wir uns dem Dammbruch gegenüber. Es lässt sich keine Grenze ziehen, es darf nicht argumentiert werden, wann Leben lebenswert ist.
Hallo Freddie,
ähnlich wie Du, sehe ich auch die Gefahr, dass ein Formalisierungsprozeß von Lebensqualität nicht nur genau das Gegenteil erreichen wird (nämlich nicht dem Leben zu dienen, sondern sich gegen das Leben zu richten), sondern auch schnell auf eine schiefe Ebene führen kann – zumal genug Studien existieren, die aufzeigen, dass Lebensqualität nur erstpersonal beurteilt werden kann und nicht von außen, die subjektive Wahrnehmung ist schlicht stärker als jedes objektive Kriterium.
Nicht zustimmen kann ich Dir in deiner Deontik, zumindest nicht aus philosophischer Sicht, denn die Erfahrung zeigt zum Einen, dass deontologische Grundsätze durchaus hinterfragt werden können und nicht jedem in gleicher Weise einleuchtend erscheinen (ein Blick in die Kantkritik fördert unzählige Beispiele zu Tage). Das Dogma der Pflicht kann dann recht schnell mit einem hereinbrechenden Subjektivismus verlustig gehen. Eine Letztbegründung ist eben doch sehr schnell hintergehbar, auch wenn man es sich selbst gerne anders wünschen würde.
Zum Anderen kann es bei einer unhintergehbaren Letztbegründung des Lebensrechtes keine Möglichkeit geben, dass eine Tötung richtig, oder auch nur verständlich ist, sie bleibt immer falsch und ein Fehler (in diesem Zusammenhang muss ich gerade an Kants "Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen" denken, es ist zwar ein anderes Thema, aber es hat die gleiche Struktur).
Das einzige, was demnach eine Tötung rechtfertigen oder zumindest verständlich machen könnte, müsste über dem Lebensrecht stehen und man könnte es vielleicht Humanität nennen, aber in diesem Fall, wäre das Lebensrecht nicht mehr jene unhintergehbare Letztbegründung, sondern schon eine Folge aus dem viel weiter und unschärfer gefassten Begriff der Humanität. Und steht plötzlich der Begriff der Humität als das unhintergehbare Deon vor uns, geraten wir auf ein neues in ein Dilemma, wenn wir auf der Basis des unschärferen Begriffs der Humanität diskutieren.
Gleichsam, auch wenn der ethische Diskurs keine klare Antwort liefert, muss das Thema dennoch entschieden werden, denn das tägliche Sterben und Leiden hört nicht auf und wartet ab, es vollzieht sich erbarmungslos und damit muss umgegangen werden, so oder so. In dieser Situation, in unserer Gesellschaft, würde ich dir zustimmen (wenn auch weniger deontologisch), dass das Leben (und zwar das einzelne, sich jeder Formalisierung entziehende Leben) im Mittelpunkt der Betrachtung stehen muss, für unsere Gesellschaft halte ich eine andere Herangehensweise, vor allem eine utilitaristische, für mehr als unpassend.
Auf der anderen Seite, was ist damit eigentlich gesagt, das einzelne Leben in den Mittelpunkt zu stellen? Ich fürchte, noch nicht viel, solange wir den einzelnen Menschen nicht die (gesetzlich verbriefte) Freiheit geben, über ihr Leben in diesen Belangen selbst entscheiden zu dürfen.
Ich hatte damit gerechnet in dem Punkt der Deontologie auf Widerspruch zu stoßen. Denn mit meiner ausnahmsweisen Einzelfallentscheidung begebe ich mich ja selbst schon in die Gefahr des Dammbruchs, muss ich zugeben. Nein, und "Humanität" als Basisnorm über das Lebensrecht zu stellen kann meiner Meinung nach auch nciht funktionieren. Hinzu kommt, dass dies ein viel zu unklarer Begriff ist. Seit geraumer Zeit beschäftige ich mich nun mit diesem Thema und ich weiß nicht, ob es irgendwann klare Antworten geben kann. Wie gesagt: Kontingenzen, mit denen wir leben müssen. Kennst Du Dich näher mit diskursethischen Ansätzen aus? Diese zu erörtern wäre vielleicht noch interessant. Da habe ich bisher die Schwierigkeit, mir die Diskursgemeinschaft vorzustellen und sehe all die, die bei diesem Ansatz nicht mitgedacht werden.
Damit kommen wir auch zu Deiner Anmerkung über Lebensqualität, die mir (dies ist das Hauptthema mit dem ich mich im Rahmen der Sonderpädagogik auseinandersetze) große Freude macht. Ganz richtig: Lebensqualität kann nicht "von außen" beurteilt werden. Und nun sind wir in der Stellvertreterdebatte. Was ist mit den Menschen, die sich nicht (mehr) darüber äußern können ob sie so immens leiden, dass sie nicht mehr oder niemals leben können, was mit den Ungeborenen und Neugeborenen usw.? Darf man über das Leben eines anderen richten? Genau das ist das Dilemma.
Hallo Freddie,
ich denke, es ist sogar schlimmer als ein Dammbruch, wenn man in dieser Situation mit einer entsprechenden lebensbejahenden Deontik zusätzlich eine Einzelfallentscheidung einführt, denn was bliebe dann von einer Deontologie übrig, wenn man ihr derart ihr Fundament entzieht?
Über eine umfassende Kenntnis von diskursethischen Ansätzen zu diesem Thema verfüge ich nicht, allgemein kann man aber sagen, dass gerade die Ausstehenden eines solchen Diskurses immer Anlass für Kritik sind, die Frage ist auch, ob nicht gerade in diesem Fall, der immer nur eine Person betrifft, ein solcher Ansatz mehr nützen kann, als die Entscheidung, die die einzelne Person, in aller Einsamkeit allein treffen muss, denn weiterleben oder ableben *zu wollen* wird niemand auf der Basis eines Diskurses entscheiden. Klare Antworten wird es wohl niemals geben und sollten sie doch eines Tages erscheinen, so werden sie wohl doch immer einen faden Nachgeschmack haben, der zweifeln lässt – wohl auch zurecht. Aber vielleicht ist gerade ein solcher Punkt, der eine Antwort auf das Unbeantwortbare fordert, der, an dem nicht mehr diskutiert werden kann, sondern jedem Menschen die Freiheit über sein Leben gegeben werden sollte, um eine persönliche Antwort zu finden, dort wo jeder breiter angelegte Diskurs nur versagen kann, weil der Diskurs niemals der Mensch ist, der sein Leben (ab)lebt. Wie gesagt – vielleicht.
Die Stellvertreterdebatte – tatsächlich ein großes Problemfeld das sich eröffnet, aber es kann erst angegangen werden, wenn man sich zuvor für den Normalfall (also den sich mitteilenden Mensch) einen Modus gefunden hat. Solange wir noch nicht einmal hier über einen Modus verfügen, läuft jede Diskussion dieses Sonderfalls (der sich nicht mitteilen könnende Mensch) automatisch ins Leere. Aber angenommen, man gäbe jedem Menschen die Freiheit, über die Fortdauer seines Lebens entscheiden zu dürfen, so wäre tatsächlich für die von dir angesprochenen Beispiele nichts gewonnen. Ich bin jedoch nicht der Auffassung, dass dies den Freiheitsgedanken obsolet macht, vielmehr, dass er das Problem dort löst, wo es gelöst werden kann, denn die von dir bezeichnende Personengruppe kann nur eine ethische Vorstellung übergestülpt bekommen (vollkommen unabhängig, ob diese zum fort- oder ableben führt), denn was bleibt, wenn kein erstpersonaler Entschluss eingeholt werden kann und wir sonst zu der Einstellung gelangt sind, dass formalisierte Systeme der einzelnen Person in dieser Situation niemals gerecht werden? Nichts (sofern auch kein mutmaßlicher Wille feststellbar ist), außer vielleicht der Pragmatismus im Zweifel das Leben zu bejahen und zu hoffen, dass die Palliativmedizin die schlimmsten körperlichen Schmerzen erspart (und doch, damit ist nichts über die Abtreibung gesagt). – Aber wie gesagt, dies alles würde nur gelten, sofern wir uns dem Freiheitsgedanken verschreiben würden.
Auf einer anderen Ebene fallen mir auch noch mehr Problemfelder ein, da wäre zum Beispiel der Tod als soziale Interaktion und die daraus abgeleitete Frage: Wieviel Verantwortung trifft den Sterbenden gegenüber den Lebenden? ….und so weiter und so fort, ehe das Thema uns in alle Richtungen wegschwimmt, sollte man es wohl auch nicht überstrapazieren. Dennoch, deine Anmerkung zu einer stellvertretenden Entscheidung empfand ich als sehr wichtig, weil sie den Horizont aufbricht, man darf es sich nicht zu einfach machen und den Betroffenen immer als jemanden denken, der sich mit dem Thema auseinandersetzen und sich mitteilen kann, nur weil mit diesem "Optimalfall" der Diskurs immer begonnen wird.
Wird der Diskurs tatsächlich mit dem "Optimalfall" geführt? Ich bekomme ihn vor allem dort mit, wo es um Stellvertreterentscheidungen geht. Sei es das ungeborene Kind, der sich nicht mehr äußern könnende alte Mensch, der alte Mensch, bei dem man zumindest an den Motiven zweifeln kann (anderen nicht zur Last fallen) und vor allem aber der sogenannte schwerbehinderte Säugling, der "Liegengelassen" wird (leider gängige Praxis in Krankenhäusern) wenn der Arzt der Meinung ist, eine medizinische Indikation liege nicht vor, was im Endeffekt heißt, dass entweder intensivmedizinische Maßnahmen oder auch nur ganz normale Versorgung des Säuglings nicht zu einem lebenswerten Leben führen würden. Wer bestimmt hier was Lebensqualität bedeutet (und wir waren ja soweit, dass das niemand tun kann als das Individuum selbst, was in der Praxis anders gehandhabt wird)? Vor allem wird hier der potentielle Lebenswert von Menschen beurteilt, was doch niemals passieren dürfte. Hier bringt uns die Freiheit des Einzelnen nicht viel. Oder doch? Dann müsste dies in der Tat das oberste Gebot sein und dort, wo keine eigene Entscheidung möglich ist, dürfte nicht "fremdentschieden" werden. Ich denke aber doch dass was Du als Pragmatismus bezeichnest, nämlich im Zweifelsfall das Leben zu bejahen, als Basisnorm stehen müsste. Und noch einmal zum Bedenken: der sich nicht mitteilen könnende Mensch ist bei der Debatte der Sterbehilfe nicht der Sonderfall! Es sind vielleicht die "stillen Fälle", die einfach praktizierten und evtl. weniger diskutierten, was das Dilemma nicht mindert. Hier wäre die Diskursethik vielleicht doch hilfreich.
Ein Feld möchte ich noch aufmachen: Wenig bedacht wird bei dem Thema meiner Meinung nach auch ein Sterben in Würde als Alternative für einige der angedachten Dilemmata. Das darf einer Gesellschaft nicht abhanden kommen, denke ich.
Was die Deontologie angeht, gebe ich Dir natürlich Recht.
Hallo Freddie,
ich bin zumindest der Meinung, dass die Debatte mit dem "Optimalfall" begonnen werden muss. Was hilft es schon, gleich die Frage danach zu stellen, wie es sich mit Menschen verhält, die sich nicht äußern können, wenn zuvor noch nicht entschieden ist, ob einem Menschen überhaupt Sterbehilfe zusteht und unter welchen Umständen man den reflektierten und artikulierten Wunsch gewähren kann. Es erscheint mir nicht sehr sinnvoll, gleich mit komplizierteren Sachverhalten zu beginnen, in die sich zusätzliche Problemfelder mischen (wie es ja offensichtlich der Fall bei Stellvertreterentscheidungen ist), bevor nicht einmal der vergleichsweise einfache Sachverhalt genügend Klärung erfahren hat, also frei nach dem Motto: Vom Allgemeinen zum Speziellen.
Genau so ist auch die Bezeichnung Sonderfall zu verstehen, sie stellt keine statistische Aussage dar im Sinne davon, dass ohnehin nicht viele Menschen in dieser Gruppe existieren, sondern im Sinne des oben dargelegten.
Ansonsten, Würde, Pragmatismus… alles Begriffe, die eigentlich nicht zufrieden machen, sie sind bereits ethisch geprägt und werden als Lösung für ein ethisches Dilemma genutzt, also stellen mehr eine Scheinlösung dar, da hier wieder eine Ethik der anderen vorgeordnet wird, gerade die unterschiedlichen Füllungen von Würde, der sich alle Parteien gerne bedienen scheint integraler Bestandteil des Dilemmas. Der Begriff Pragmatismus selbst mag diese Prägung selbst nicht aufweisen, aber das was als pragmatisch in diesem Fall empfunden wird, ist natürlich auch an einer Ethik orientiert – gleichsam, so wünschenswert ich auch die Achtung des Lebens im Zweifelsfalle halte und so ablehnend ich Ansätzen gegenüber stehe, die dafür plädieren Menschen sterben zu lassen, ohne, dass eine Entscheidung des Menschen selbst noch erruiert werden kann, so unabgeschlossen wird das Thema immer bleiben, weil die Lösung niemals perfekt, niemals der goldene Weg für alle sein wird, weil es immer der Vorrang einer Ethik vor der anderen ist und die Basis dieses Vorrangs immer brüchig ist.
Der sich mitteilen könnende Mensch als Normalfall, als komplizierter Sachverhalt und als Spezielles im Gegensatz zum Allgemeinen ich muss Dir zutiefst widersprechen!
Du nimmst hier klare Wertungen vor und bestimmst die beschriebenen Dilemmata (wie Stellvertreterentscheidungen, Euthanasie an Säuglingen, alte Menschen, ihren Willen nicht mehr klar artikulierende Menschen, die nach einem schweren Unfall nicht mehr leben möchten usw.) als spezielles, untergeordnetes Problemfeld. Nicht statistisch ordnest Du zwischen Allgemeinem und Speziellem, auch wäre eine Lösung des allgemeinen Dilemmas Deiner Meinung nach keine Hilfe für die des speziellen, wieso musst Du dann kategorisieren?
Da das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien scheinbar eher bei den von Dir angesprochenen Unterthemen liegt und vermutlich bei vielen Menschen eine Überforderung bei der Beschäftigung mit Fragen besteht, die uns erstmal nicht direkt betreffen, kann ich die Unsicherheit und das Auslassen derartiger Fragen verstehen. So etwas ändert sich schlagartig für Menschen, die ein schwerstbehindertes Kind zur Welt bringen, eine sterbende Mutter haben, die nicht in Zeiten des klaren Verstandes eine Patientenverfügung unterschrieben hat, einen Menschen nach schwerem Unfall pflegen . Es gäbe einige Beispiele.
Wir hier können uns diesen Fragen zur Thematik, meiner Meinung nach, auf keinen Fall entziehen. Für mich besteht der ethische Diskurs gerade auch darin, wie wir gesellschaftlich mit dem Leben und der Würde anderer umgehen. Ich sehe Stellvertreterentscheidungen nicht unbedingt als zusätzliches Problemfeld, sondern als unsere gesellschaftliche und humanistische Verantwortung dem Menschen, dem anderen gegenüber. Und nicht zuletzt müssen wir entscheiden, wie wir mit dem Leben umgehen. Das stellt für mich die allem vorgeordnete Frage dar.
Und diesbezüglich gibt es, meiner Meinung nach, Ethiken, die hier nicht greifen und die aus Gründen der Menschenwürde, vor allem aber aus einer universellen Achtung vor dem Leben, abgelehnt werden müssen (präferenzutilitaristische Philosophie). Das Verhandeln über den Lebenswert eines Menschen als an sich inhuman zu erklären und die Achtung vor dem Selbstwert des Menschen als vorrangiges Prinzip eines demokratischen Rechtsstaats zu begründen, ist diese Basis so brüchig?
Dies greift ja auch nicht in den freien Willen des Menschen und die freie Entscheidung zu sterben ein. Allerdings ist damit noch nichts darüber gesagt, ob wir dem Menschen, der klar für sich entscheidet, dass sein Leben nicht mehr lebenswert ist, dabei helfen dürfen, sich umzubringen. Und dort wird man auch immer wieder auf verschiedene Begründungen durch widerstreitende Ethiken stoßen und kommt wohl wirklich nur zum Punkt des Unbeantwortbaren.
Hallo Freddie,
ich verwehre mich gegen die Unterstellung, ich würde eine wertende Dichotomie in die Diskussion einführen. Dies ist keineswegs der Fall, man kann nicht einen einfach deskriptiven Akt in den Bereich der Ethik verschieben, denn dann können aus Kategorien wie Allgemein und Speziell wertende Kategorien werden und ich habe an keiner Stelle betont, dass es mir darum geht. Keinesfalls (und auch das habe ich nicht geschrieben) verdienen Fragen wie Stellvertreterentscheidungen keine Beachtung, natürlich bin ich mir im Klaren darüber das auch heute, im Alltag diese Fragen beständig präsent sind.
Nur ist die Frage, was folgt daraus für die ethische Theorie? Die Theorie, und daran halte ich nach wie vor fest, tut gut daran, vom Allgemeinen zum Speziellen vorzudringen und selbst Du forderst genau diesen Weg, wenn die Ausgangsfrage für dich die allgemeine nach dem Status menschlichen Lebens innerhalb unserer Gesellschaft ist.
Es ist ja auch offenbar, dass wir, wenn wir im allgemeinen Feld keine Antwort finden, es erst recht nicht im speziellen können, zumal dort, wie gesagt, mehrere Problemfelder kollidieren. Eine Ethik, die gleich im Speziellen beginnt kommt darüber hinaus ja auch nicht darum herum, die allgemeinen Felder erst einmal innerhalb ihrer speziellen Fragestellung zu bearbeiten. Eine Ethik, die darauf verzichtet, wird es schwer haben, einer kritischen Lektüre auch nur zwei Seiten standzuhalten. Es bleibt für mich dabei: Vom Allgemeinen zum Speziellen.
Zum nächsten: Die Basis, Menschenwürde, Achtung vor dem Leben, demokratischer Rechtsstaat. Ich würde sagen ja, diese Basis ist ebenso brüchig, wie alle anderen (was nichts damit zu tun hat, dass Dinge wie Menschenwürde etc. meine Präferenz genießen). Die Frage der Letztbegründung bleibt auch hier offen, wenngleich wir diese Werte verinnerlicht und objektiviert haben, sind sie an sich nicht objektiv im Sinne eines Gesetzes, dass zwischen die Sterne geschrieben ist, sondern menschengemacht und damit subjektiver Natur. So wünschenswert es wäre, Menschenrechte auf eine objektive und unabhängige Basis zu stellen, so wenig wird uns das wohl ohne eine metaphysische Komponente gelingen.
Nun, nicht das wir uns falsch verstehen, ich bin großer Fan von genannten Dingen wie Menschenrechte, aber das hat nichts damit zu tun, ob man sie als objektiv gegeben sieht, oder in ihrer subjektiven Verfasstheit.