Am Abgrund

Der Mythos des Sisyphos von Albert Camus

Sisyphos, eine Gestalt der griechischen Mythologie, wurde für seinen Verrat an Zeus dazu verurteilt, für die Ewigkeit einen Felsbrocken einen Abhang hinaufzurollen, der ihm jedoch kurz vor dem Gipfel stets wieder entgleitet, woraufhin er von vorn beginnen muss.
An diesem Beispiel entwickelt Camus seine Gedanken über das Absurde im Leben des Menschen:

Nach Camus hat jedes Gefühl seine Geisteshaltung und Metaphysik, sein eigenes Klima, welches im Falle des Absurden lediglich in den Auswirkungen erkennbar ist. Das Absurde ist nach Camus für jeden erfahrbar und beginnt mit dem Durchtrennen der Kette des steten Gedankenstroms des Alltagslebens, durch den Überdruss als erste Bewusstseinsregung in Form der Frage „Warum?“ und der Erkenntnis, dass das Leben endlich ist. An diesem Punkt besteht zumindest theoretisch die Wahl zwischen der Rückkehr in die „Kette“ und dem freien Fall in das Absurde.
Ein weiterer Schritt in das Absurde ist die Verfremdung der Welt, die als geschlossen, unzugänglich, vom absurden Menschen fremd und unmenschlich erkannt wird; dies schließt alle anderen Menschen mit ein.
„Am Abgrund“ weiterlesen

Was ist Philosophie?

Der Begriff stammt vom altgriechischem φιλοσοφία (philosophia) und kann mit „Freund der Weisheit“ oder auch „Liebe zur Weisheit“ übersetzt werden.
Jedoch weiß jeder, der sich bereits mit Philosophie beschäftigt hat, dass jenseits des etymologischen Befundes des Begriffs der Philosophie die Einigkeit endet. Dies liegt vor allem daran, dass die Philosophie keinen scharf abgegrenzten Gegenstandsbereich aufweist. Ein kleinster gemeinsamer Nenner in einer Definition des Begriffs könnte sein: „Philosophie ist durch folgerichtiges Denken Erkenntnis über das jeweilige Objekt des Denkens zu erlangen.“
Die möglichen Objekte des philosophischen Denkens sind dabei so zahlreich, wie es die Dinge der Welt und des Denkens sind, deswegen sollen hier einige Beispiele aus wichtigen philosophischen Disziplinen genügen:
„Was ist Philosophie?“ weiterlesen

Der Satz des Pythagoras

In der Schulzeit dürfte wohl niemand an diesem geometrischen Theorem vorbeigekommen sein, wohl aber kaum jemand dürfte wissen, dass der Satz des Pythagoras vermutlich kaum von Pythagoras selbst stammt.

Faktisch kann mit großer Sicherheit behaupten werden, dass das geometrische Theorem bereits vor Pythagoras in Babylonien bekannt war. Damit jedoch nicht genug, vielmehr stellt sich überhaupt die Frage, inwiefern Pythagoras mit der Mathematik zu schaffen hatte. Spätere Pythagoreer hatten das Interesse an der Mathematik sich zu eigen gemacht, wie z.B. Philolaos, welcher der Auffassung war, dass nichts ohne Zahlen erkannt werden könne, oder Archytas von Tarent. Jedoch lässt sich kein Nachweis dafür erbringen, das Pythagoras sich selbst mit der Mathematik befasste.
Doch wie kam es nun, das jenes geometrische Theorem den Namen „Satz des Pythagoras“ erhielt? Vermutlich liegt der Grund in einer Geschichte, welche im zweiten Jahrhundert vor Christus auftaucht und vermutlich von einem nicht näher bestimmten Apollodoros stammt. In dieser Geschichte berichtet Apollodoros, Pythagoras hätte einen Ochsen geopfert, nachdem er das geometrische Theorem bewiesen hatte.

Alles nur eine Geschichte die jenen Pythagoras lobt, der wohl mehr ein Mystiker als ein Mathematiker war? Den entgültigen Beweis ist die Wissenschaft bislang schuldig geblieben, doch es scheint fast so, als ließen die Indizien keinen anderen Schluss zu.
Der Satz des Pythagoras ist jedenfalls mit Sicherheit der Satz Babyloniens, ob sich Pythagoras nun mit der Mathematik beschäftigt hat, oder nicht.

nach: Huffmann, Carl A.: Die Pythagoreer. in: Philosophen der Antike I. Hrsg. von Friedo Ricken. Stuttgart: Kohlhammer Verlag (1996)

One ring to rule them all

Man sehe mir den naheliegenden Einstieg nach, denn es soll nicht vom Niedergang Gollums die Rede sein, sondern vom Aufstieg des Gyges vom Ziegenhirten zum Alleinherrscher Lydiens:
Durch eine seismische Anomalie und seine Neugier gelangte er in den Besitz eines goldenes Ringes, der ihm die Macht verlieh, unsichtbar zu werden, wann immer er ihn drehte. Durch diese seltene Gabe wurde er schnell Abgesandter des Königs, hierdurch wiederum noch nicht zufrieden: Er verführte zunächst die Königin und ermordete zuletzt den Regenten selbst, um nach dem Weib auch den Thron für sich zu haben.

Sokrates erzählt diese Geschichte um zu illustrieren, dass die Furcht vor Strafe die eigentlich moralische Haltung sei: Die Ungerechtigkeit, so Sokrates, halte Jedermann für vorteilhafter als die Gerechtigkeit. Wenn er (oder sie) also sicher sein könnte, nicht für begangenes Unrecht zur Rechenschaft gezogen zu werden, würden der augenscheinlich Gerechte und der Ungerechte gleichermaßen ohne Rücksicht nur nach dem eigenen Vorteil streben.
Wenn ein Mensch, dem solche Macht gegeben ist, nie Unrecht täte, so würden die Menschen öffentlich seine Rechtschaffenheit loben, doch insgeheim den Kopf über ihn schütteln.

Wer kennt sich gut genug, um zu wissen, wie er handeln würde, wenn er nicht einmal fürchten müsste, für seine Untaten verachtet zu werden; Wenn kein Gesetz und keine soziale Kontrolle ihn mehr fesseln?
Wer ließe sich nicht von der absoluten Freiheit verführen?

Platon: Politeia, 359c – 360c

Freundschaft in der Feindschaft

Gemeinhin sind die Begriffe Freundschaft und Feindschaft solche, die sich gegenseitig ausschliessen. Kaum würde jemand behaupten, sein Gegenüber wäre gleichzeitig Freund und Feind.

Doch auch in der erbittertsten Feindschaft schwingt leise die Freundschaft mit, während die Säbel rasseln. Denn wann wird ein Mensch zu meinem Feind? In dem Moment, in dem ich es ihm gestatte, in dem Moment, in welchem ich ihn als solchen anerkenne und anerkenne, dass er mich als solchen anerkennt. Welchen Menschen kann ich überhaupt als Feind anerkennen? Wohl nur den, dem ich gestatte, mich in Frage zu stellen.
Leise und unbemerkt verweilt eine Vorstufe der Freundschaft, in der Gemeinschaft derer, die sich gegenseitig gestatten sich in Frage zu stellen und sich gegenseitig als Feind anerkennen. Sie bilden in ihrer Feindschaft und ihrem Austausch eine Gemeinschaft, die noch nicht Freundschaft ist – und merken es nicht.

Womöglich sind die Begriffe von Freundschaft und Feindschaft doch nicht so trennscharf, wie sie auf den ersten, unbedachten Blick erscheinen.

nach Derrida, Jacques. Politik der Freundschaft. Frankfurt: Suhrkamp Verlag (2002): Kap. 6

Sokrates damals. Wir heute. Das Urteil gegen die Philosophie.

In der Apologia Sokratous wird uns vom Todesurteil gegen Sokrates berichtet. Weil er umherzog und den Menschen zeigte, dass sie entgegen ihrer eigenen Behauptung nicht weise waren, erlag er am Ende der üblen Nachrede und Verleumdungen, die zu seinem Todesurteil führten. Aufrecht weigerte er sich im Dialog Kriton aus seiner Zelle zu fliehen und verbrachte seine letzten Stunden im Kreise seiner Freunde und Gefährten bevor er den Schierlingsbecher trinken musste, wie wir aus dem Dialog Phaidon erfahren. Dies geschah im Jahr 399 vor Christus.
„Sokrates damals. Wir heute. Das Urteil gegen die Philosophie.“ weiterlesen

Der ewige Traum

Den Traum vom Wachen zu unterscheiden scheint uns ein leichtes Spiel, zwar täuschen wir uns oft im Traum und halten uns für wach, obwohl wir schlummernd im Bett liegen, doch merkwürdiger Weise meinen wir im Vollzug des Alltags uns sicher sein zu können, dass wir nicht träumen.
Für den Philosoph Descartes hingegen war es nicht gewiss, dass wir, obwohl wir uns hin und wieder irren, dennoch zumeist wissen, dass wir nicht träumen. Zwar räumt er ein, erscheine einem im Wachen alles realer als es das jemals in einem Traum könne, jedoch hätte er sich auch hierüber bereits in Träumen getäuscht und sich, den Schlafenden, für einen Wachen gehalten. Es scheint, so Descartes, kein sicheres Kriterium zu geben, dass uns versichert, dass wir gerade nicht schlafen.

Wer möchte ihm da wiedersprechen und wer fällt nicht immer aufs Neue auf seine eigenen Träume herein und schreckt mit einer Angst im Nacken aus Albträumen empor oder dem wohligen Gefühl der Zufriedenheit aus einem angenehmen Traum? Vielleicht träumen wir sogar gerade jetzt.

René Descartes. Meditationen über die Erste Philosophie. Hrsg. und übersetzt von Gerhart Schmitt. Stuttgard: Reclam 1986. Erste Meditation, Artikel 3-5

„Silentium – Man darf über seine Freunde nicht reden:
sonst verredet man sich das Gefühl der Freundschaft.“
(1)

Friedrich Nietzsche

Nietzsche äußert sich in seinen Briefen und seinem philosophischen Werk an vielen Stellen zum Begriff der Freundschaft und sein Ergebnis scheint ernüchternd:
„Ja es gibt Freunde, aber der Irrtum, die Täuschung über dich führen sie dir zu; und Schweigen müssen sie gelernt haben, um dir Freund zu bleiben; denn fast immer beruhen solche menschlichen Beziehungen darauf, dass irgend ein paar Dinge nie gesagt werden, ja, dass an sie nie gerührt wird: kommen diese Steinchen aber ins Rollen, so folgt die Freundschaft hintendrein und zerbricht.“(2)

Diese Wort mögen dem Leser schrecklich vorkommen, denn wem gegenüber, wenn nicht einem Freund, kann man wirklich aufrichtig sein? Gibt es also überhaupt keine völlige Aufrichtigkeit zwischen zwei Menschen?
Nietzsches Antwort ist deutlich: „[W]ir haben gute Gründe, jeden unserer Bekannten, und seien es die Größten, gering zu achten; […]“(3) und gerade deshalb verlangt die Freundschaft, dass wir verdrängen und verschweigen, dass wir die selben Mechanismen benutzen, wie wir sie – unbewusst – auch, bei uns selbst anwenden, denn wir haben „ebenso gute [Gründe], diese Empfindung gegen uns selber zu kehren.“(4)

Würden wir die völlige Aufrichtigkeit ertragen, sei es gegen einen Freund, sei es gegen uns selbst?
Und könnten wir es verzeihen, wenn wir wüssten, was der Freund tatsächlich über uns denkt?

(1) Nietzsche, F.: Menschliches, Allzumenschliches. Band II § 252
(2),(3) u. (4) Nietzsche, F.: Menschliches, Allzumenschliches. Band I §346

Naturschützer, Menschenrechtler und viele andere Interessengruppen rechtfertigen ihren Standpunkt oftmals mit moralischen und ethischen Argumenten. Zumeist wird dabei übersehen, dass die Existenz objektiver Werte durchaus zweifelhaft ist und die Möglichkeit besteht, dass alle unsere Werte frei erfunden sind.

Die These eines ethischen Subjektivismus erscheint in unserer mit moralischen Appellen angefüllten Erlebniswelt zunächst fremd; sie bestreitet die Existenz objektiver Werte und Pflichten, von deren Existenz die meisten Menschen überzeugt sind. Gemeinhin wird allerdings nicht beachtet, dass zwischen einzelnen Epochen oder einzelnen Gesellschaften unserer Welt und sogar innerhalb einzelner Teile einer Gesellschaft große Unterschiede in den jeweils vorherrschenden Regelsystemen bestehen.
„“ weiterlesen

Es ist offensichtlich, dass der Tod das Leben bedroht und da der Mensch gemeinhin an seinem Leben hängt, ist er nicht sonderlich erfreut über den Umstand seiner Sterblichkeit. Überraschend ist in diesem Zusammenhang eine Aussage des griechischen Philosophen Epikur, der in einem Brief an Menoikeus schrieb, dass der Tod für uns ohne Bedeutung ist.
Warum sollte es sich so verhalten? Epikurs Antwort ist einfach: Der Tod geht uns nichts an, da wir Gutes und Schlechtes durch unsere Wahrnehmung unterscheiden. Ausserhalb der Wahrnehmung existieren kein Eindrücke für den Menschen. Der Tod ist wiederum nichts anderes als der Verlust der Wahrnehmung. Wenn wir gestorben sind, können wir den Tod also nicht wahrnehmen und erfahren bzw. ihn für etwas schlechtes oder gutes halten. Wir haben aufgehört zu existieren.
Der Mensch muss im Leben den Tod nicht fürchten, da der Tod ihn offensichtlich noch nicht ergriffen hat; wenn der Tod ihn aber ergriffen hat, lebt der Mensch nicht mehr, und kann somit weder fürchten noch leiden. Aus diesem einfachen Grund ist der Tod nach Epikur für den Menschen ohne Bedeutung.

Epikur möchte mit dieser Darstellung erreichen, dass wir uns nicht das Leben auf unsinnige Weise mit dem Gedanken an den Tod beschweren. Darüber hinaus, so Epikur, sollten wir nicht das längste Leben versuchen zu erreichen, sondern das angenehmste.

Epikur starb um das Jahr 270 v. Chr. in Athen und was er im Augenblick seines bevorstehenden Todes dachte, wird für immer sein Geheimnis bleiben.

Epikur. Brief an Menoikeus. 124-126