„Das Glück begreifen, dass der Boden, auf dem Du stehst,
nicht größer sein kann, als die zwei Füße ihn bedecken.“

Franz Kafka

Dieser Aphorismus Kafkas gehört wohl nicht zu jenen Aussprüchen und Bonmots, die sich dem Leser sofort erschließen und sich allzuleicht einprägen. Dennoch birgt er in seiner Kürze ein Moment, das zumindest meine Aufmerksamkeit bindet.
Kafka spricht von Glück – von dem glücklichen Umstand, dass das, was uns von Fall und Untergang trennt, nicht etwa der Boden ist, wie es der Himmel ist, der sich über uns wölbt, sondern bloß diese kleinen Flecken Erde, auf welchen unsere Füße ruhen. Das, und nicht mehr, ist es, was uns das Leben ermöglicht, was wir wirklich brauchen. Der Rest, so könnte man schließen, ist nur Beiwerk.

Aber ist diese Interpretation nicht zu kurz gegriffen? Man bedenke, dass dieser Satz von Franz Kafka stammt. Wer sein Werk ein wenig kennt, der denkt vielleicht an das finstere und übermächtige Schicksal Karl Roßmanns in „Amerika“ oder Josef K.s im „Proceß“. Die beiden Protagonisten erliegen nicht ihren allzugroßen Ansprüche an das Leben, sondern verteidigen bzw. erstreiten einen kleinen Flecken Boden, den ihre Füße bedecken können – und scheitern.

Auf dem ersten Blick mag dieser Aphorismus tröstlich sein, doch wer seinen Autor kennt, versteht: Den Verlust von vielem können wir erdulden und ertragen, weil es uns letztlich entbehrlich ist – das ist das Glück, das wir begreifen müssen. Aber der Boden unter unseren Füßen ist ebensowenig sicher, wie jener, den wir einstürzen sahen und sehen, ohne mit ihm unterzugehen.

Franz Kafka: Beim Bau der chinesischen Mauer. Und andere Schriften aus dem Nachlass. Fischer TB Verlag, FfM, Vierte Auflage: 2004. S.232

Pflanzen gehen kaputt, Menschen und Tiere sterben

Vor kurzem lief ich am botanischen Garten der Universität entlang und fing das Gespräch einer Mutter mit ihrem Kind auf, die gerade vor einem kleinen Baum standen, dessen Stamm zum Schutz vor der Witterung mit Heu umgeben war. Die Mutter erklärte dem Kind, das der Baum es warm bräuchte, denn sonst, so sagte sie, ginge er kaputt.
Es viel mir auf, dass die meisten von uns in diesen Termini sprechen. Geht uns eine Pflanze ein, berichten wir darüber mit den Worten, sie seie kaputt gegangnen. Dabei erscheint es nicht richtig, denn Pflanzen sind Lebewesen und Lebewesen gehen nicht kaputt, sondern sterben. Kaum jemand würde sagen, dass sein Hund kaputt gegangen sei und auch die Mutter würde ihrem Kind kaum sagen, dass Opa kaputt ist. Dennoch scheinen wir Pflanzen nicht wirklich als Lebewesen wahrzunehmen, sondern lediglich als leblose Objekte, denn so wie ein Auto kaputt geht, so geht auch eine Pflanze kaputt.
Sicherlich wird man einwenden, man wisse sehr wohl das Pflanzen lebendig wären, würde aber nur (dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend) ihr Ableben mit dem Wort „kaputt“ beschreiben. Doch trifft das nicht gänzlich meinen Gedankenlauf, der mehr darauf abzielt, warum wir jene lebendigen Objekte (Pflanzen) mit Wörtern beschreiben, die eigentlich auf leblose Objekte abzielen.
Verstecken wir uns vor dem unangenehmen Phänomen des Todes oder liegt der Grund in einer anderen Richtung? Vielleicht sind Pflanzen für uns auch nur Lebewesen zweiter Klasse, die in unseren Augen mehr mit einem leblosen als mit einem lebendigen Objekt gemein haben.

Wer weiß, merkwürdig ist es allerdings in jedem Fall.