nicht größer sein kann, als die zwei Füße ihn bedecken.“
Dieser Aphorismus Kafkas gehört wohl nicht zu jenen Aussprüchen und Bonmots, die sich dem Leser sofort erschließen und sich allzuleicht einprägen. Dennoch birgt er in seiner Kürze ein Moment, das zumindest meine Aufmerksamkeit bindet.
Kafka spricht von Glück – von dem glücklichen Umstand, dass das, was uns von Fall und Untergang trennt, nicht etwa der Boden ist, wie es der Himmel ist, der sich über uns wölbt, sondern bloß diese kleinen Flecken Erde, auf welchen unsere Füße ruhen. Das, und nicht mehr, ist es, was uns das Leben ermöglicht, was wir wirklich brauchen. Der Rest, so könnte man schließen, ist nur Beiwerk.
Aber ist diese Interpretation nicht zu kurz gegriffen? Man bedenke, dass dieser Satz von Franz Kafka stammt. Wer sein Werk ein wenig kennt, der denkt vielleicht an das finstere und übermächtige Schicksal Karl Roßmanns in „Amerika“ oder Josef K.s im „Proceß“. Die beiden Protagonisten erliegen nicht ihren allzugroßen Ansprüche an das Leben, sondern verteidigen bzw. erstreiten einen kleinen Flecken Boden, den ihre Füße bedecken können – und scheitern.
Auf dem ersten Blick mag dieser Aphorismus tröstlich sein, doch wer seinen Autor kennt, versteht: Den Verlust von vielem können wir erdulden und ertragen, weil es uns letztlich entbehrlich ist – das ist das Glück, das wir begreifen müssen. Aber der Boden unter unseren Füßen ist ebensowenig sicher, wie jener, den wir einstürzen sahen und sehen, ohne mit ihm unterzugehen.
Franz Kafka: Beim Bau der chinesischen Mauer. Und andere Schriften aus dem Nachlass. Fischer TB Verlag, FfM, Vierte Auflage: 2004. S.232