Im gerade angebrochenen Jahr der Geisteswissenschaften wird viel über Nutzen und Nutzbarkeit diskutiert und geschrieben, auch über jenen und jene der Philosophie, doch soll hier nicht eine allgemeine oder gesellschaftliche Legitimation der Philosophie im Blickpunkt stehen, sondern die persönliche Motivation und der Sinn, den man aus der eigenen Beschäftigung mit philosophischen Problemen und Fragen zieht.
Das Zitat von Odo Marquard ist sicherlich scharf formuliert, aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen: Der sicherste Weg zu Anerkennung und Erfolg ist das entsprechende Studium gewiss nicht, und dem Glück ist allzu tiefe gedankliche Betätigung auf den ersten Blick ebenfalls nicht zuträglich.
Warum also wenden sich seit Menschengedenken immer wieder Denker den quälendsten Fragen zu, arbeiten sich durch Berge bereits aufgetürmten Wissens und stehen zumeist am Ende nur mit neuen Fragen da? Was treibt den Menschen, wenn er ohne die Not einer aktuellen Brisanz nach Problemen sucht, um sich über diese den Kopf zu zerbrechen?
Diese Fragen sind keineswegs rhetorisch, denn das grundsätzlich menschliche Streben nach Wissen und Erkenntnis allein erklärt eine derartige Beschäftigung nur teilweise und verweist auf eine weitere: Offenbar ist das Interesse an Philosophie nicht gleichermaßen auf alle Menschen verteilt; Worin liegt also der Unterschied zwischen den Philosophen und jenen, die auf anderen Gebieten ihre Fragen finden? Gibt es so etwas wie den geborenen Philosophen, dessen Denken im Zweifel erst beginnt oder sind Philosophen schlichtweg Menschen, die bereits in der Frage nach ihrer Motivation akzeptieren können, dass sie keine vollständige Antwort erhalten werden?
Wer allein denksportlichen Ehrgeiz dahinter vermutet wird auch nicht erklären können, warum die Ehrgeizigen solche Freude am Scheitern empfinden, wenn die Ziellinie vor ihnen zu fliehen scheint.
Wozu betreibt man also Philosophie? Warum wächst bei so vielen Menschen das Bedürfnis weiterzufragen, wenn sie eben dadurch die Grenzen ihrer Erkenntnisfähigkeit vor Augen geführt bekommen? Ich könnte diese Fragen nicht einmal erschöpfend für mich persönlich beantworten und die Besucherzahlen von Dunkelraum versetzen mich in Erstaunen.
Doch unabhängig davon, ob die Liebe zur Weisheit von anderen mit Kopfschütteln oder Einverständnis quittiert wird, sie verbindet die von ihr Befallenen auch über die Zeit hinweg und nützt letztlich auch jenen, die sie nicht teilen.
Ich halte die Frage "Wozu Philosophie?" in etwa für so bedeutend wie "Wozu atmen". Aber das liegt daran, dass ich die Philosophie nicht in erster Linie ihrem institutionellen Elfenbeinturm verorte.
Ich denke, der Mensch philosophiert, sobald er seine Ängste artikuliert. Und letzten Endes wäre Philosophie immer genau das: Die chaotische und zufällige Welt erklären, damit sie nicht mehr so bedrohlich wirkt. Das hat dann zwar seit einiger Zeit die Wissenschaft übernommen und uns im Zuge dessen allerlei Zufallbeseitigungstechnologien an die Hand gegeben. Die Ängste indes hat uns das nicht genommen. Und allein weil uns auch diese Erkenntnis Angst macht, müssen wir auch weiter darüber reden, ob das Reden die Angst bannen kann. Ich schätze, an diesem Punkt sind wir jetzt.
Inwieweit die Fragen es an Brisanz mangeln lassen ist sicherlich ein wunderbares Streitthema. Viele Fragen kulminieren in einem Streben nach Selbsterkenntnis, in einem Untersuchen der menschlichen Natur. Gerade die Ethik und Moral war seit Menschengedenken immer ein hoch aktuelles Thema, sie mag zwar kein Feld bestellen oder Brot backen, aber sie konstituiert Gesellschaften und fragt gleichsam nach dem, was der Mensch ist, denn in jeder Ethik schwingt ein wenig Anthropologie mit.
Das offenbarste Beispiel dürfte heutzutage die Bioethik darstellen, deren Fragen dringend geklärt werden müssen und sich direkt auf unser Leben auswirken; die sich aber nicht klären lassen, ohne das ihre Klärung sich gleichzeitig mit dem Wesen des Menschen und unserem gesellschaftlichem Zusammenleben auseinandersetzt.
Unseren Gesetzen wie auch unserem alltäglichen Miteinander liegt viel philosophische Ethik aus früheren Zeiten zu Grunde und gleichzeitig könnte man sagen, dass man selbst die Niederschrift unserer Verfassung ein praktisch-philosophischer Akt war. Die Fragen scheinen also doch recht häufig Brisanz aufweisen.
Aber eines ist sicher, auch wenn "die Ziellinie flieht", erhält man nicht nur neue Fragen, denn im Aufwerfen neuer Fragen liegt bereits immer Erkenntnis, wenn sie auch nicht ultimativ ist. Aber dass womöglich keine absolute Wahrheit auf dieser Welt greifbar ist, heißt noch nicht, dass es keine Erkenntnis geben kann.
Vielleicht erhofft man sich tatsächlich von der Philosophie eine Art Orientierung. Wer sich wundert, Angst empfinden kann, nicht in irgendetwas "Selbstverständliches" eingebettet ist oder auch irgendwann im Leben aus der Selbstverständlichkeit herausgefallen ist, fängt der nicht an zu fragen…
Auch wenn das zum Scheitern verurteilt sein mag, fühlt es sich doch sehr lebendig an. Manche springen auch absichtlich aus einem Hubschrauber.
Die "aktuelle Brisanz" zb der Bioethik ist vielleicht ein Beispiel für die Notwendigkeit von "offiziell" zu betreibender Philosophie, wobei jeder Mensch schon beim Aufwachen ein Problem hat meiner Meinung nach, ganz ohne Gentechnik 🙂 Kurz noch- ein bisschen vom Thema weg, entschuldigung- wie ist das gemeint, in jeder Ethik schwinge Anthropologie mit? Was, wenn man das nicht mitmachen will? Ich würde gerne sowohl auf den Osterhasen als auch auf Spekulationen, was dem Menschen nun "natürlich" ist, verzichten, möchte meinen Nachbarn aber trotzdem nicht töten (dürfen).
achso, eins noch… von wegen zwischen Zufall und Nichts fröhlich voranscheitern – das hat, wenn es eine Tragik hat, auch eine gleichermassen starke Komik, oder nicht?
Hallo L.,
man muss ja sogar nicht mal an Gentechnik denken, allein das Dilemma der Sterbehilfe schreit nach einer Lösung. Aber zu meinem Aussage zur Anthropologie: Jede wie auch immer geartete Ethik hat m.E. auch einen bestimmten Blickwinkel auf den Menschen. Kant sieht den Mensch als Verstandeswesen und geht sogar so weit, dass er den Menschen für fähig hält, derartige Entscheidungsprozesse ausschließlich der Vernunft zu unterwerfen. Was könnte dies anderes sein, als eine anthropologische Bestimmung? Um in ein anderes Extrem zu gehen: Auch christliche Dogmatik verfügt über eine anthropologische Setzung: Der Mensch ist in seiner Verfasstheit als Mensch (also da er Gottes Schöpfung ist) christlicher Ethik unterworfen.
Hi Dunkelraum, gibt es ohne Anthropologie und ohne metaphysiches Gedöns die Möglichkeit eine Ethik aufzubauen? Oder ist das dann "nur" "Regeln befolgen"? Gibt es irgendetwas, was nicht Spekulation ist? Oder nicht kontextabhängig? Ok, Kant meint irgendwas, Locke, Rousseau, Rawls, der Utilitarismus, was weiss ich – zahllose "Meinungen" – die ich nur streife, aber sie unterscheiden sich, soviel habe ich schon mitbekommen – aber gibt es denn überhaupt irgendetwas, was nicht vom jeweiligen Zeitalter, Gesellschaftszustand oder persönlicher Biographie etc abhängt und somit nicht relativ ist- und wenn ich mir selbst auf diese Frage erst mal "nein" (was ja schon ein Standpunkt wäre deswegen kann bzw "darf" ich das eigentlich nicht) antworte, wo lese ich dann weiter? Klingt wohl etwas wirr, ich hoffe, es wird trotzdem verstanden. Philosophie als Meinungsjahrmarkt, egal wie groß die Namen sein mögen, das macht mich fertig :o) Grüße Euch, Lotte
Ich kann mir nicht vorstellen zu leben, ohne zu philosophieren. Das gehört zu mir wie die Butter auf dem Brot. Ich liebe es mich in "virtuellen Räumen" zu bewegen, nur um mal zu sehen wo ich denn mit meinem Verstand oder meinem Geist an meine Grenzen gerate. Sehr schön wird das ganze, wenn ich mich an anderen Menschen reiben kann und diese auch gerne philosophieren. Es ist einfach ein Lebensinhalt.