Über wahren Altruismus ist viel gesagt und geschrieben worden, ohne dass sich eine Möglichkeit offenbart hätte zu beweisen, dass eine bestimmte Handlung zweifelsfrei ohne eigennützige Motive ausgeführt worden sei. Wenn ich mich durch eine gute Tat besser fühle, etwa weil ich mich als großzügig, hilfsbereit oder mutig erlebt habe, steht meine Selbstlosigkeit bereits in Frage: Was mein Glück befördert, geschieht insofern nie nur um seiner selbst Willen, als ich letztlich davon profitiere.
Freundschaften und Bekanntschaften erlebt man dennoch zumeist als uneigennützig, sofern sie nicht eingestandenermaßen eine Seilschaft mit einem bestimmten Ziel oder ein reines Zweckbündnis gegen die Einsamkeit sind. Selten kommt man in die Verlegenheit, zu begründen, warum man mit jemandem befreundet ist und wenn doch, so gelten Gemeinsamkeiten und zuweilen auch Unterschiede als Argumente für die empfundene Verbindung.
Es erscheint daher geradezu zynisch, wenn Arthur Schnitzler in seinem Aphorismus über die Nebenmenschen schreibt, wie seien „in jedem Fall dazu verdammt, unsere Nebenmenschen auszunützen.“
Unsere Anlagen, so Schnitzler weiter, bestimmen unser Schicksal, um welchen zu verwirklichen, wir diejenigen Menschen aus der Menge wählen und an uns binden, die uns auf diesem Weg nützlich sind und uns weiterbringen. Diejenigen, die nicht dazu tauglich sind, entfernen wir aus unserer Nähe.
Schnitzler unterstellt den Menschen dabei durchaus kein Kalkül im Sinne einer bewussten Unterscheidung zwischen brauchbaren und nutzlosen Menschen, sondern nimmt diesen Prozess als unwillkürlich und unbewusst an.
Allzu leicht kann man sich also nicht gegen Schnitzlers Vorstellung wehren, die so wenig mit freundschaftlichen Gefühlen in Einklang zu bringen ist, denn letztlich bereichern uns gerade die wahren Freundschaften und helfen uns dabei, uns selbst zu entdecken. Der Beweis, dass man eine Freundschaft ausschließlich um ihrer selbst Willen pflegt, dürfte also ebenso unmöglich zu erbringen sein, wie der Nachweis einer völlig altruistischen guten Tat.
Diese Überlegung stellt natürlich nur den Begriff der Selbstlosigkeit in Frage: Eine gute Tat und eine aufrichtige Freundschaft bleiben was sie sind, denn wer wollte aus Angst vor dem eigenen, versteckten Egoismus in einer Welt ohne Hilfsbereitschaft und Zuneigung leben?
Schnitzer, Arthur: Beziehungen und Einsamkeit. Aphorismen ausgewählt von Clemens Eich. Frankfurt am Main: Fischer, 1967.
Hi,
könnte man nicht sagen, dass die Formulierung "selbstlose Handlung" schon ziemlich seltsam ist? Ohne Selbst handeln? Wer handelt denn dann? Ist das noch (m)eine Handlung, wenn sie mit mir selbst gar nichts zu tun hat? Und wenn eine Handlung doch von mir selbst ausgeführt wird, dann ist sie bestimmt auch motiviert, wenn sie "selbstlos" im Sinne von "gut" sein soll, nämlich dadurch, das Gute erreichen zu wollen, oder? "Selbstlose Handlungen" sollen also irgendwie ohne Selbst und ohne eigene Motivation stattfinden, ziemlich paradox, wo sie doch irgendwie erst möglich werden, durch die Bedingungen, die man ihnen nicht erlauben will. ??? Kaffeepause Ende- Gruß, Lotte
Hallo Lotte,
ich habe "selbstlos" hier im Sinne des Alltagsverständnisses aufgefasst und verwandt: Eine Handlung, die man nicht um seiner selbst Willen unternimmt, ist selbstlos.
Ich würde sagen, dass der Handelnde seine Motivation dazu (denn ohne geht tatsächlich es nicht) aus einem Ideal bezieht, das insofern jenseits seines Eigeninteresses liegt, als er es darüber stellt.
Er bleibt natürlich das Subejkt seiner Handlung, führt sie aber für etwas Abstraktes aus, an dem er zwar Anteil hat (immerhin erkennt er es als Wert an und richtet sich danach, hat es also mehr oder minder in seine Selbst-Konzeption integriert), das er aber dennoch als "außerhalb von sich" anzusiedeln ansieht, etwa weil es für ihn ein unververseller (oder zumindest überindividueller) Wert ist.
Zu entscheiden, ob eine solche Handlung grundsätzlich gut ist, bleibt eine wacklige Angelegenheit… Ideale, die derartige "selbstlose" Handlungen nach sich gezogen haben, gab es z.B. auch im NS-Terrorregime und für eine Idee sind auch andernorts schon die (nach unserer heutigen oder zumindest meiner Auffassung) schrecklichsten und dümmsten Dinge getan worden.
Aber selbst bei der Bewertung innerhalb eines Kulturraums (zeitlich wie räumlich), der den Wert mitträgt in dessen Geist die Handlung ausgeführt wird, bleibt der Haken, dass man sich damit selbst erhöht – ob nun als tiefenpsychologische Motivation oder "ungewollte" Konsequenz…
Aber warum soll das ein Haken sein?
Ob oder wann etwas grundsätzlich warum und vor allem- wovon abgeleitet – gut sein kann (oder auch schlecht), das frag ich jetzt lieber nur ganz leise…sonst wird mir umgehend schwindlig. Ich hab leider keinen Schimmer.
… der Haken ist, dass niemand sich je rühmen kann, wirklich selbstlos gehandelt zu haben, weil Altruismus nicht beweisbar ist – immer gibt es zumindest Zweifel. Wenn sich übrigens jemand tatsächlich mit seinem aufopfernden Engagement für etwas "rühmt", steckt ganz sicher mehr von seinem Ego dahinter, als irgendein Ideal. Wobei natürlich das Engagement (wertegemeinschaftsimmanent) lobenswert bleibt, immerhin tut da jemand was.
Die (leise gestellte) Frage nach der Instanz, die über gut und schlecht entscheidet ist ein echter Tisch-Umwerfen und hat früher schon mal die Gemüter im Dunkelraum (und nicht nur hier) erregt. Entschieden wurde sie trotzdem nicht und wird es wohl auch nicht so bald: Entweder, man behandelt die Frage funktional und sagt, für den Fortbestand einer Gesellschaft braucht es Regeln und am praktischsten sind diese und jene, folglich ist gut, was dazu beiträgt und schlecht, was sie gefährdet – oder man bemüht einen Gott, der einem in der eigenen moralischen Empfindung Recht gibt. Empirisch (oder logisch) beweisen und somit einfordern lassen sich solche moralischen Kategorien jedenfalls nicht… Keine Menschrechte ohne Metaphysik!
Wieso sollte man überhaupt nach Handeln in völliger Selbslosigkleit streben? Ich sehe nichts Falsches an einer Welt, in der gutes Handlen, auch dem Handelnden nützt. Trotzdem bleibt der gute Weg oft der steinige.
Hallo p-i-m,
falsch wäre an einer solchen Welt sicherlich nichts, nur wirft es ja in der Tat die Frage nach der Intention der jeweiligen Handlung auf: Geschah sie um des Guten Willen oder geschah sie aus egoistischen Motiven? z.B.: Helfe ich dem Freund bei seinem Umzug, weil er mein Freund ist; oder helfe ich ihm, weil ich auch einmal umziehen werde und dann Hilfe benötige.
Der Unterschied mag marginal sein, denn in beiden Versionen wird mir der Freund wohl helfen und doch ist er in seiner äußeren Marginalität erschreckend weitreichend. Man könnte wohl sagen, nur bei einer absolut selbstlosen Handlung können wir uns sicher sein, nicht um unserer selbst Willen gehandelt zu haben, sondern wirklich für den Anderen. Insofern ist es eine Frage nach der Natur des Menschen, tut er wirklich etwas für andere oder handelt er immer, wenn er vorgibt für andere zu handeln, eigentlich für sich selbst.