Der Tod ist im Leben allgegenwärtig. Er steht jedem lebenden Wesen bevor.
„Das Ziel unseres Lebenslaufs ist der Tod“, schreibt Montaigne in seinem Essay.
Der Tod ist vielgestaltig und interessiert sich nicht für Statistiken wem gibt es also Sicherheit in der Bedrängnis, wenn er sich ins Gedächtnis ruft, dass er statistisch gesehen noch die Hälfte (oder mehr) seines Lebens vor sich hat? Wer kennt keine der Tragödien, die einen Menschen lange vor seiner Zeit abberufen haben?
Wenn wir den Tod fürchten ist er eine dauernde Beunruhigung, wissen wir doch nicht, wie und wann er an uns herantreten wird. Und doch leben wir nicht in ständiger Todesfurcht, könnten es wohl kaum ertragen und würden uns letztlich danach sehnen, dass er eintritt und uns aus unserer Angst vor ihm erlöst.
Was also tut man gegen die Angst vor dem Tod?
Der scheinbar einfachste Weg ist es, nicht daran zu denken.
Das setzt nicht einmal allzu große Einfalt oder ein tierisches Bewusstsein voraus, denn Zerstreuung bietet sich überall: man tanzt, wo es laut ist, trinkt, wo es still wird und wendet das Gesicht ab, wenn sich das unweigerliche Ende in der Ferne zeigt.
Doch der Tod ist nicht zu ignorieren: Er tritt heran, reißt Freunde oder andere geliebte Menschen aus unserer Mitte und wie reagieren die Flüchtigen, die ihn nicht sehen wollen? Sie schreien vor Wut und Verzweiflung, gegen die Ungerechtigkeit, die Willkür sie haben alles versucht und konnten doch nicht entkommen, um letztlich in Moment der unausweichlichen Konfrontation hilflos zu sein.
Dann lieber vorbereitet sein, schlägt Montaigne vor.
Den Tod jederzeit und überall erwarten. Das ist vielleicht viel verlangt, aber es schafft demütige Freude über die Stunden, die uns gegeben sind, und nicht zuletzt Freiheit: Wer seinen Tod nicht länger fürchtet, weil er ihn kennt, nicht seine Umstände, nicht den Zeitpunkt, aber um ihn weiß, der wird frei.
Man büßt die Sorglosigkeit in Gesundheit ein, dafür bedrückt jedoch die Furcht nicht zusätzlich in der Krankheit. Der Tod ist uns letztlich immer gleich nahe, wir nehmen ihn nur in offensichtlicher Bedrohung deutlicher wahr. Was könnte nicht alles passieren, woran wir nicht denken…
Wer sein Leben genutzt hat, könnte befriedet und gesättigt scheiden und wer es nutzlos verbracht hat, dürfte wohl recht gleichmütig sein, dass die Zeit, mit der er so großzügig war, nun am Ende ist.
Alles liegt darin, wie man sein Leben verbracht hat hat man es genutzt, bestünde die Möglichkeit sich damit abfinden, dass es nun genug ist; die Dauer spielte dann eine untergeordnete Rolle, liegt sie doch nicht in der Hand des Lebenden.
Ein Leben ohne Tod wäre letztlich vielleicht eine Last und Bürde, die der Mensch nicht tragen könnte.
Über Goethes berühmte letzte Worte „Mehr Licht!“ wird gestritten. Thomas Bernhard trug in einem Essay dazu bei, indem er vorschlug der Dichter habe „Mehr nicht!“ gesagt. Ob nun wahr oder falsch: Mit solchem Großmut in den Tod zu gehen, verlangt zumindest mir eine gewisse Bewunderung ab.
Michel de Montaigne: Philosophieren heißt sterben lernen. In: Montaigne. Die Essais. Köln: Anaconda, 2005
Wie das in der Praxis umzusetzen ist, ist die große Frage, oder? Wer seine Lebenszeit genutzt hat, mag anders fühlen- aber wer, wenn er das nicht geschafft hat, ist dem Tode gegenüber schon gleichgültig?
Und wann hat man seine Lebenszeit genutzt?
Sagt Montaigne darüber auch etwas? Hetzt einen das nicht noch mehr und steigert es nicht die Angst, wenn man vor dem Tode noch soviel "erledigen" muss, damit die Furcht vor ihm erträglicher wird? Ich werd den Essay wohl mal lesen.
Über Thomas Bernhards "mehr nicht" musste ich furchtbar lachen – typisch!! :o)
Montaigne schildert im selben Essay einen (angeblichen) Brauch aus dem alten Ägypten, nach welchem auf dem Höhepunkt eines Festes ein Ausrufer aufgetreten sein soll, um den Anwesenden ein Gerippe vorzuhalten und zu rufen: "Trink und sei fröhlich, denn wenn du tot bist, siehst du so aus!"
Das klingt gruselig, aber wenn wir für einen Moment annehmen, es habe diesen Brauch tatsächlich gegeben, dürfte daraufhin die Versammlung nicht unter Schreien & Klagen auseinandergestoben sein, sondern vielmehr hätte man vielleicht die Gläser gehoben, um auf dem eigenen Tod zu trinken.
Fern der morbiden Effekthascherei, mit der wir so etwas heute vielleicht assoziieren, ist das wohl in etwa die Gemütshaltung, die Montaigne vorschwebt.
Dankenswerter Weise schreibt Montaigne nichts Konkretes darüber, wie ein "genutztes" Leben auszusehen hat; er sagt lediglich, dass wir zur Tätigkeit geboren sind, zum Handeln. Gerade vor der Vorstellung, man müsste oder könnte etwas zu Ende bringen, warnt er eindringlich, denn sie führe zurück zu einer beklemmenden Todesfurcht.
Eine Anleitung, wie man ein furchtloses Leben in Tätigkeit führt, dabei aber gegen die "Vollständigkeit" des eigenen Lebenswerks gleichgültig bleibt, fehlt in seinem Essay vielleicht nicht ohne Grund: Montaigne verstand sich nicht als Philosoph, erwähnt in einem Text über seine Niederschriften sogar, dass er hoffe, niemand würde seine Zeit damit verschwenden, die Gedanken einens alten Narren zu lesen.
Das macht für mich einen großes Teil des Charmes seiner Essays aus: Sie laden bald zum Widerspruch ein, bald zum Einverständnis – aber immer zum Weiterdenken.
Mit einer konkreten Handlungsanweisung hätte er wohl seinen ganzen Essay der Lächerlichkeit preisgegeben, denn wer könnte ein solch vielfältiges und komplexes Thema glaubwürdig auf einen Nenner bringen?
Ein für mich passender, sinniger Beitrag – nicht nur – aber gerade an Silvester!
Der Titel "Leben heißt Sterben lernen" geht wie ich grade lese, auf Sokrates (Dialog "Phaidon" des Platon) zurück. Muss ich auch mal lesen…Eine gewisses Bewusstsein von der Endlichkeit des Lebens mit in den "Alltag" zu nehmen, lässt sich doch schwierig vermeiden, ist mein Gefühl… und ausserdem denke ich, dass ein Eintreffen von "Furchtlosigkeit" dieser gesteigerten Qualitätsempfindung eher abträglich wäre… beruhigt gehen zu können oder das so zu fühlen, scheint mir auch das Leben selbst etwas flacher zu machen (meine Vorstelung). Ohne Todesfurcht keine Euphorie oder tiefe Glücksempfindung- wenn die Spitzen weg sind, sind sie es auf beiden Seiten der Medaille, das Pendel kann nicht nur in eine Richtung ausschlagen. Oder?
Montaigne bezeichnet sich selbst als eher grüblerischen Charakter, dem es ebenfalls nicht fern läge, ein gewisses Bewusstsein für die ständige, sozusagen latente Nähe des Todes zu haben. Allzu weit scheint mir dieser Charakterzug allerdings nicht verbreitet zu sein und der Essay wäre wohl auch nicht entstanden, wenn der Autor davon ausgegangen wäre, dass ihm in diesem Punkt die Meisten seiner Zeitgenossen ähneln…
Dein Einwand ist nicht von der Hand zu weisen und auch Montaigne schreibt (sinngemäß), dass der Abscheid leichter fällt, wenn man keine allzugroße "Fallhöhe" aufgebaut hat, womit er sich aber m. E. widerspricht: Entweder man führt ein tätiges und erfüllendes Leben (auf welches man zufrieden zurückblicken kann) oder man bemüht sich darum, nicht viel zurückzulassen, was einem den Abscheid erschweren könnte.
Ich glaube aber, dass nicht die Furcht vor dem Tod uns dazu bringt, das Leben höher zu schätzen, sondern eher das Wissen um ihn, wie Montaigne es fordert: Das Bewusstsein, dass meine Tage auf Erden gezählt sind wird mich (günstigstenfalls) dazu bringen, den einzelnen Tag höher zu schätzen, weil er nicht wiederkommen wird; er wird gelebt und unweigerlich von den Verbleibenden abgezogen. Die Angst, es könnte mein letzter sein, wird ihn mir am Ende verleiden.
Für mich ist das durchaus schlüssig, wenngleich es sich natürlich bedeutend einfach durchdenken & sagen lässt, als verinnerlichen & umsetzen…
Damit kann ich was anfangen…Furcht und "Glück" (was immer das ist) als Extreme könnte man vielleicht auch eher als Rauschzustände beschreiben, Kontraste, die kurzlebig sind und mit "Zufriedenheit" (was auch immer das ist) möglicherweise gar nichts zu tun haben? Vielleicht meint er das ja irgendwie so…
Bewusstheit (des Todes – nur als Beispiel) könnte für mich gleichermassen bereichernd als auch beängstigend sein. Das ist aber meiner Meinung nach bei vielen Dingen so- das bewusste (zB) "Nachdenken" kann einen naiven, aber sehr spontanen, emotionalen Zugang zu vielen Erlebnisweisen auch verhindern, finde ich. Es erfordert einfach immer Abstand- und Genuß hat auch mit Gedankenlosigkeit zu tun für mich. Musik, Malerei, Liebe ;o) – however….guten Appetit!
Vor kurzem habe ich ein Buch gelesen "Leben nach dem Tot"
wo das Thema untersucht war, es gibt viele wissenschaftliche Beweise, dass wir nach unserem Sterben trotzdem auf andere Art und Weisse exesstieren. Es sollte man nicht früchten. Ausnahme – wenn man ein Selbstmord begangen hat.
Aber ist es richtig, das Sein nach dem Tod als "Leben" zu bezeichnen???
Diese Beweise würde ich gerne erfahren, und besonders was einen freiwilligen Tod von unfreiwilligem unterscheiden soll.
Der eigene Tod ist für mich die geringste Sorge ,geht er mich doch am wenigsten an sobald ich aufhöre so zu existieren wie ich bin.
Natürlich wäre ich da anderer Meinung hätte ich z.B. eine tödliche Krankheit, doch meist bleibt der eigene Tod ein unvorstellbarer Gedanke der erst im unmittelbaren Angesicht zur Bedrohung wird. Wir bestehen doch alle aus Sternenstaub/Atomen und sicher wird unsere organische Komposition weiterhin als Teil von etwas anderem existieren, in der Summe aber bleiben wir unabhängig von unserer Endlichkeit nicht einmal im Leben immer wir selbst.So wie ich, mein Körper, die Umgebung und Umstände sich verändern sind wir doch mit jedem Schlag des Herzens dem Tod entgangen und zu etwas anderem geworden.
Was ist aber z.B. mit dem Hirntod oder Koma?Da existiert unser Körper weiterhin in seiner Gesamtheit, nicht jedoch das Bewusstsein.Wenn ich z.B. schlafe setzt der größte Teil meines Bewusstseins aus und ich bin in Bezug auf die Wirklichkeit doch auch nicht am Leben, bzw. agiere nicht so wie wir es vom bewussten Leben erwarten,also ist unsere Abwesenheit doch schon im Leben allgegenwärtig.
Was Angst macht ist dabei vieleicht nur das Absolute, das unwiederbringliche.Ist dies aber nicht nur ein Problem des Egos? Wir wissen doch dass uns Menschen folgen und somit das Leben weiter tragen.Es wird auch nach mir jemanden geben der einen Gedanken denkt oder sich am Duft einer Blume erfreut, ist es da nicht fair Platz zu machen und der geschundenen körperlichen Komposition die absolute Freiheit zu gewähren, bzw. neuem Leben eine Chanze zu geben?
-Trotzt alledem, ein Todesschrei hat eine schauerhafte Wirkung und doch ist es irgendwie akzeptabel wenn man denkt wie viel Leben wir haben, wenn es auch schmerzt und aufgrund der Willkür manchmal fast unerträglich bleibt.