Einsamkeit – I – Der Andere

Vielleicht haben wir über unsere Freunde nur eine reflektierte Vorstellung, welche keinerlei Anspruch auf Kohärenz mit der Wirklichkeit erheben darf. Das wahre Wesen des Freundes, so scheint es, ist unserem Zugang auf ewig verschlossen, liegt doch genau in der Unfähigkeit einen Einblick in den Geist des Gegenübers zu gewinnen die Grenze unserer Möglichkeiten und alles was uns bleibt ist Spekulation über das, was unablässig hinter seiner Stirn geschieht.
In Anbetracht des Unvermögens in das Seelenleben des Anderen einzutauchen, bleibt ein jeder Mensch auf ewig allein und Gefangener einer Einsamkeit, aus welcher keine Möglichkeit zur Flucht führen mag. Sicherlich ist die hier erwähnte Einsamkeit eine gänzlich andere als die herkömmliche, viele mögen sie nicht bemerken und selbst wenn ihr Augenmerk auf sie fallen sollte, so bedeutet dies noch nicht, dass hieraus ein Leidensdruck resultiert. Dennoch, alles was uns vom Freunde bleibt, sind die Vorstellungen, welche wir von ihm entwickeln und soviel Mühe wir uns auch geben werden, niemals werden sie ihm gänzlich entsprechen, wir können nicht einmal wissen wie nah oder fern von seinem Wesen sich unsere Vorstellungen befinden. Wir können nicht bei ihm sein, sondern nur bei unseren Vorstellungen von ihm.

So sitzen wir mit ihm am Tisch, einsam wie er und hoffen zumindest ein wenig seines Wesen in unseren Vorstellungen erfasst zu haben.

Und dennoch, hin und wieder wirkt es, als ob wir Momente erfahren, in denen wir in der Seele eines Menschen lesen können, blindlings in sein Wesen eintauchen und uns im Meer seines Geistes bewegen, als sei uns ein jeder Winkel bekannt. Das über einem Gespräch entstehende Gefühl von zwei zu einer untrennbaren Einheit verschmolzenen Seelen bleibt uns noch erhalten, während dieser flüchtige Augenblick längst erloschen ist.
Täuschung? Selbstbetrug? Man mag skeptisch bleiben und hoffen.

3 Antworten auf „Einsamkeit – I – Der Andere“

  1. Hi Chris, ich habe lange gebraucht, um wirklich dahinter zu kommen was mich an deinem Text stört. Ich glaube ich habe es jetzt gefunden.
    Irgendwie entwickels du ein komisches Bild von Freundschaft. Lass es mich erklären. Du sprichst von Seelenverwandtschaft, die es nicht gibt. Da stimme ich dir vollkommen zu, das ist Klischee, aber dann weiter unten schreibst du:

    "Dennoch, alles was uns vom Freunde bleibt, sind die Vorstellungen, welche wir von ihm entwickeln und soviel Mühe wir uns auch geben werden, niemals werden sie ihm gänzlich entsprechen, wir können nicht einmal wissen wie nah oder fern von seinem Wesen sich unsere Vorstellungen befinden."

    Aber gehts du da dann nicht auf genau diesen Klischee ein und erklärst es als das Ziel der Freundschaft, eins sein?
    Ich denke nicht, dass der Sinn der Freundschaft in dem eins werden sondern vielmehr im anders sein liegt. Eine gegenseitige Bereicherung des Wissens, der Werte, des Lebens aus der Basis des wirklichen Vertrauens, das es nur unter Freunden geben kann. ich weiß es ist ein zu perfektes Bild, was ich hier aufmale, und wenn mann die Realität betrachtet, bleibt man immer allein und dein Text ist absolut zutreffend.
    Aber eben das Bild der Freundschaft hat mich gestört, denn nicht eins sein sondern lernen ist Freundschaft, anderes akzeptieren ohne es gleich aufzunehmen und in sich zu vereinen.
    Die Einsamkeit, die du beschreibst rührt denke ich nicht so sehr vom Fehlen der Freundschaft her, sondern vom Mensch sein an sich, dem Getrennt sein, dem Weltschmerz.
    Wiedersprich mir wenn du es anders siehst, wie eingangs geschrieben, sind die Gedanken nicht allzu reflektiert.

  2. Hallo Soeren,
    nunja, ich schreibe weder gegen noch für Seelenverwandschaft. bei (u.a.) Aristoteles findet sich die Einheit der Seele jedenfalls auch eine Auswirkung gelungener Tugendfreundschaft. kann es Freundschaft nur unter Gleichen geben, aber was ist ein Gleicher? Wie gleich muss man sich sein, wie unterschiedlich? Mir ging es nicht um eine Begriffsdefinition von Freundschaft, das spielt eigentlich keine Rolle, es geht mehr um die Frage, was kann ich über den Freund wissen, kann ich Freund sein, obwohl ich nichts von ihm wissen kann, bin ich mit ihm oder meinen Vorstellungen über ihn befreundet?

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